Der digitale Ingenieur – Wie ein KI-System aus Stuttgart die Strömungsmechanik revolutioniert

Forschende in Stuttgart haben ein KI-System gebaut, das wie ein richtiger Ingenieur arbeitet. Es kann selbstständig Aufgaben aus der Strömungsmechanik lösen, Simulationen durchführen und sogar eigene wissenschaftliche Texte schreiben.

Eine neue Ära des ingenieurwissenschaftlichen Arbeitens

In der Welt der künstlichen Intelligenz bahnt sich eine stille Revolution an – nicht im Alltag von Konsumenten oder in kreativen Anwendungen, sondern in einem der technisch anspruchsvollsten Felder der Wissenschaft: dem Ingenieurwesen. Forschende der Universität Stuttgart haben mit OpenFOAM GPT ein KI-System vorgestellt, das mehr ist als ein Werkzeug – es ist ein vollwertiger digitaler Ingenieur. Dieses System aus vier kooperierenden KI-Agenten kann eigenständig komplexe Strömungssimulationen planen, durchführen, auswerten und sogar wissenschaftlich dokumentieren.

Während sich KI bisher vor allem als Assistenzsystem in der Industrie etablierte, zeigt OpenFOAM GPT erstmals das Potenzial eines Systems, das den gesamten wissenschaftlichen Zyklus autonom beherrscht. Der Schritt von der Unterstützung zur eigenständigen Forschung durch KI-Agenten markiert einen Paradigmenwechsel – und stellt tiefgreifende Fragen über die Zukunft menschlicher Expertise.

Technische Analyse: Das Multi-Agenten-System als KI-Ingenieur

Im Zentrum der Innovation steht ein fein abgestimmtes Multi-Agenten-System, das auf verschiedene spezialisierte Aufgabenbereiche aufgeteilt ist. Die vier Agenten arbeiten in einer modularen Pipeline zusammen, wobei jeder einzelne eine definierte Rolle im Ingenieurprozess übernimmt:

  • Preprocessing Agent (Vorarbeiter): Analysiert die Nutzeranfrage in natürlicher Sprache und bereitet sie für die nächsten Schritte vor.
  • Prompt Generate Agent: Zerlegt komplexe Aufgaben in strukturierte Teilaufgaben und erzeugt konkrete Arbeitsanweisungen, die als „Prompts“ interpretiert werden.
  • OpenFOAM GPT Agent: Nutzt die Open-Source-Simulationssoftware OpenFOAM, um präzise numerische Strömungssimulationen zu erstellen. Dabei berücksichtigt er physikalische Randbedingungen und numerische Modellierungsstrategien.
  • Postprocessing Agent: Interpretiert und visualisiert die Ergebnisse – mit Diagrammen, Grafiken und Schaubildern.
Bild: SimTech / Quelle: https://www.uni-stuttgart.de/universitaet/aktuelles/meldungen/Der-erste-KI-Ingenieur-der-Welt-kommt-aus-Stuttgart/

Im Unterschied zu klassischen KI-Modellen ist hier nicht nur das Lernen aus Daten zentral, sondern die systematische Integration von Wissen, Planung, Sprache und Physik-basierten Simulationen. Entscheidend ist auch die Fähigkeit zur Reproduzierbarkeit – ein zentrales Kriterium in der Wissenschaft, das neuronale Netzwerke oft nicht erfüllen, weil ihre Antworten probabilistisch und stochastisch sind, was so viel bedeutet wie, dass ihre Antworten auf Wahrscheinlichkeiten beruhen (probabilistisch) und von Zufallsprozessen beeinflusst werden (stochastisch). Das heißt, sie wählen ihre Formulierungen nicht immer gleich, sondern anhand mathematischer Modelle, die verschiedene mögliche Antworten mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten gewichten. OpenFOAM GPT hingegen liefert bei gleichen Bedingungen konsistente Ergebnisse.

Anwendung und Nutzen: Von der Simulation bis zur Publikation

Die Anwendungsbereiche sind ebenso vielseitig wie ambitioniert. In ersten Tests konnte das System klassische und komplexe Probleme aus der Fluiddynamik erfolgreich lösen: von linearen Kanalströmungen über mehrphasige Prozesse in porösen Medien bis hin zur turbulenten Aerodynamik bei Hochgeschwindigkeit. Diese Vielfalt unterstreicht die Flexibilität und Tiefe der KI.

Der Nutzen für verschiedene Zielgruppen ist enorm:

  • Unternehmen können Entwicklungszyklen verkürzen und teure Simulationsarbeit automatisieren.
  • Forschungsinstitutionen erhalten ein Werkzeug zur Generierung neuer Hypothesen, zum Testen von Simulationsmodellen – und sogar zur automatischen Erstellung wissenschaftlicher Manuskripte.
  • Lehre und Bildung könnten durch ein solches System Studierenden ermöglichen, ohne tiefes Vorwissen in Numerischer Strömungsmechanik (CFD „Computational Fluid Dynamics“) komplexe Szenarien zu erforschen.

Die vielleicht größte Stärke liegt aber in der Demokratisierung von Fachwissen: Die Fähigkeit, über Sprache auf hochspezialisierte Rechenverfahren zuzugreifen, senkt die Schwelle für nicht-Expert:innen und öffnet neue Horizonte der interdisziplinären Forschung.

KI-Kategorien und Einordnung: Sprachmodelle, Agentensysteme und Physik-Simulation

Technologisch basiert das System auf einer Kombination verschiedener KI-Kategorien:

  • Natürliche Sprachverarbeitung (NLP): Die Kommunikation mit dem System sowie die Generierung wissenschaftlicher Texte erfolgt über große Sprachmodelle, die ähnlich wie GPT-4 funktionieren.
  • Planungsagenten (Autonomous Agents): Hierarchisch organisierte Agenten übernehmen die strategische Zerlegung von Aufgaben, koordinieren Aktionen und interagieren mit digitalen Werkzeugen.
  • Physikalisch fundierte Modellierung: Der Einsatz von OpenFOAM erlaubt physikalisch exakte Simulationen. Dies unterscheidet das System fundamental von typischen „Black Box“-KI-Modellen.
  • Maschinelles Lernen (ML): Für die Verbesserung von Prognosemodellen, Hypothesengenerierung und visuelle Auswertung könnten ergänzende ML-Komponenten eingebunden sein, etwa zur Klassifikation von Strömungsmustern.

Der eigentliche Innovationskern liegt jedoch in der Kopplung dieser Systeme – also in der Fähigkeit, spezialisierte KI-Komponenten nahtlos zu einem koordinierten Gesamtsystem zu integrieren. Dieses „System-of-Systems“-Prinzip ist das Fundament der neuen Generation intelligenter Agenten.

Fazit und Ausblick: Beginn einer neuen Epoche des Forschens

Mit OpenFOAM GPT und dem weiterentwickelten System Turbulence.ai steht nicht weniger als die Vision eines KI-Wissenschaftlers im Raum. Das System kann nicht nur komplexe physikalische Probleme lösen, sondern auch Hypothesen generieren, Literatur auswerten und autonom Forschungsvorhaben umsetzen. Für ein Gebiet wie die Strömungsmechanik, das von offenen Fragestellungen geprägt ist, könnte dies einen gewaltigen Innovationsschub bedeuten.

Langfristig zeichnen sich folgende Entwicklungen ab:

  • Autonome Forschungssysteme könnten ganze Disziplinen beschleunigen.
  • Kooperative KI-Mensch-Teams werden die Forschung produktiver und zugänglicher machen.
  • Regulatorische und ethische Fragen gewinnen an Bedeutung – etwa zur Urheberschaft, Verantwortung und Validierung von KI-generierter Wissenschaft.

Ob der Mensch im Ingenieurwesen überflüssig wird, bleibt offen. Doch klar ist: Der Beruf wird sich wandeln – vom Berechnenden zum Bewertenden, vom Modellierer zum Gestalter.

Einfache Zusammenfassung:

Forschende in Stuttgart haben ein KI-System gebaut, das wie ein richtiger Ingenieur arbeitet. Es kann selbstständig Aufgaben aus der Strömungsmechanik lösen, Simulationen durchführen und sogar eigene wissenschaftliche Texte schreiben. Dazu arbeiten vier spezialisierte KI-Programme zusammen. Die Ergebnisse sind genauso zuverlässig wie bei einem echten Ingenieur. Diese Entwicklung zeigt, wie KI in Zukunft sogar in schwierigen technischen Bereichen helfen kann – und vielleicht sogar ganz neue Ideen findet.

Quellen:
  1. https://www.uni-stuttgart.de/universitaet/aktuelles/meldungen/Der-erste-KI-Ingenieur-der-Welt-kommt-aus-Stuttgart/
  2. https://arxiv.org/pdf/2501.06327
  3. https://pro-physik.de/nachrichten/ki-ingenieur-loest-komplexe-aufgaben

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